Orizont seit 20 Jahren aktiv
Der Patriot / Lippstädter Zeitung
Lippstadt 20.10.2009
Orizont seit 20 Jahren aktiv
Projektgründerin Agnes Derzsi wird zum Benefizabend in Lippstadt erwartet. Vorsitzende Irmelin Küthe sah die Not im rumänischen Waisenhaus
Orizont blickt auf eine 20-jährige Geschichte zurück und freut sich auf den Besuch seiner Projektgründerin am 31. Oktober
1989, zwei Jahre nachdem Herta Müller, die diesjährige Nobelpreisträgerin für Literatur ihr Land verließ, war die Welt entsetzt über die erschreckenden Bildern rumänischer Waisenhäuser, in denen Tausende von Kindern verwahrlost lebten. Auch die rumänische Bevölkerung war schockiert, denn während der Diktatur wussten sie nichts von den katastrophalen Zuständen in den Waisenhäusern.Doch es blieb nicht bei der Betroffenheit. Etliche junge Menschen, darunter auch die Grundschullehrerin Agnes Derzsi aus Targu Mures, entschlossen sich aktiv zu werden. Mit einem tiefen Mitgefühl und der Bereitschaft zu helfen, widmete die damals 16-Jährige jede Woche viele Stunden den Waisenkindern. Als Agnes Derzsi und die gebürtige Lippstädterin Irmelin Küthe (1. Vorsitzende von Orizont – Hilfe zur Selbsthilfe) sich kennen lernten, engagierte sich die junge Frau, die zur ungarischen Minderheit in Rumänien zählt, bereits seit zehn Jahren.
Der erste Besuch 1999 in einem rumänischen Waisenhaus wird Irmelin Küthe immer in Erinnerung bleiben. Ein kleines Waisenmädchen nahm sie bei der Hand und führte sie durch die Räume. 30 junge Mädchen lebten gemeinsam in einem Schlafsaal. Auch tagsüber saßen viele in ihren Schlafanzügen gekleidet auf den Betten, denn es gab keinen extra Raum zum Spielen. Die Situation in dem Heim war deprimierend und erschütternd. Doch die Perspektive dieser Mädchen war noch viel bedrückender. Mit dem 18. Lebensjahr wurden sie mit ihren bescheidenen Habseligkeiten in die “Freiheit” entlassen – ihr Besitz passte in zwei Tüten. Die meisten hatten weder einen Platz zum Wohnen noch einen Arbeitsplatz und auch keine Papiere. Für Zuhälter das “gefundene Fressen” – ein trauriges Kapitel, das bis heute noch nicht abgeschlossen ist.
20 Jahre nach dem Ende der Diktatur sind heute viele staatliche Waisenhäuser Rumäniens geschlossen. Einige Waisen haben einen Platz in Pflegefamilien gefunden oder in kleineren, oft christlichen Heimen. Viele leben in Obdachlosenheimen und damit tagsüber auf der Straße. Der Zugang zu Obdachlosenheimen wurde Irmelin Küthe, die jedes Jahr das Hilfsprojekt in Siebenbürgen besucht, bisher verwehrt. Doch sie weiß um die katastrophalen Bedingungen hinter diesen Türen.
Das Engagement von Orizont begann schon lange vor der Vereinsgründung im Jahre 2002. Aus der Betroffenheit 1989 wurde ein Hilfsprojekt mit zwei Wohngruppen, die von einer Sozialarbeiterin professionell betreut und von einem ehrenamtlichen Kuratorium kontinuierlich unterstützt werden. Hier finden junge Frauen aus Waisenhäusern und aus armen Familien für eine Zeit ein neues Zuhause, in dem sie sich beschützt und behütet entwickeln können. Sie lernen ihre Verletzungen der Kindheit zu verarbeiten und werden gefördert und gestärkt, um einen Schulabschluss zu machen und eine Ausbildung zu absolvieren.
Neben einem geringen Zuschuss von der rumänischen Regierung finanziert sich das Hilfsprojekt ausschließlich über private Spenden. Dazu veranstaltet der gemeinnützige Verein Orizont – Hilfe zur Selbsthilfe jedes Jahr im Herbst einen Benefizabend in Lippstadt. In diesem Jahr findet er am Samstag, 31. Oktober, in der Jakobikirche statt. Das Münchener Quartett “Gitanes Blondes” spielt temperamentvolle Musik auch vom Balkan und Alfred Kornemann liest Texte von Herta Müller und anderen rumänischen Autoren. Außerdem wird zum ersten Mal die Projektgründerin Agnes Derzsi an diesem Abend in Lippstadt sein und mit ihr Vertreter des Kuratoriums von Orizont. Der Vorverkauf hat in der Kulturinformation im Rathaus bereits begonnen.
Quelle: Der Patriot